„Auch wenn nur drei Rohstoffe benötigt werden – Sand, Soda und Kalk – sowie recyceltes Glas, die so genannten „Scherben“, die Kunst der Glasherstellung lässt sich nicht aus dem Lehrbuch erlernen. Selbst mit modernen Maschinen braucht man ein Gefühl dafür, wie sich die einzelnen Komponenten in Glas verwandeln. Jemand, der jahrelang mit Glas gearbeitet hat, spürt, wenn etwas nicht stimmt, oder nimmt leichte Abweichungen der Maschinengeräusche wahr, bevor es zu Störungen kommt. Deshalb sagt man der Arbeit mit Glas auch nach, sie sei eine „dunkle Kunst”, die über viele Jahrzehnte hinweg verfeinert wurde.
Ich selbst bin bald fünfzig Jahre in der Branche tätig. Mein erster Arbeitstag bei Beatson Clark war im November 1973. Eigentlich wollte ich nur ein paar Monate als Aushilfe arbeiten und dann in den Polizeidienst eintreten. Als ich zum ersten Mal in die Produktionshalle kam und überall „Feuer“ sah, fragte ich mich, worauf ich mich da bloß eingelassen hatte. Aber schon bald war ich so fasziniert davon, wie Glas entsteht, dass ich nie zur Polizei ging, sondern bei der Glasherstellung blieb.
„Kein Tag ist wie der andere.“
Warum? Zum Beispiel, weil kein Tag wie der andere ist. Selbst die Technologie kann nicht alles bestimmen. Manchmal stellt man fest, dass die fertige Flasche nicht ganz perfekt ist. Und dann muss man zurückgehen und die Maschine, die Glaswanne und sogar die Rohstoffe genau unter die Lupe nehmen, um das Problem zu beheben. Vielleicht hat sich die Umgebungstemperatur verändert oder es sind ein paar Gramm zu viel Sand in der Mischung gekommen. Alle diese Dinge können dazu führen, dass das Glas anders als erwartet aussieht. Das ist zwar eine Herausforderung, aber gleichzeitig ist es der Grund, warum so viele Menschen dieser Branche so lange treu bleiben. Außerdem herrscht eine große Kameradschaft unter den Glasmacherinnen und Glasmachern: Schon nach einer halben Stunde, die wir zum Beispiel mit einem Kollegen aus Israel oder Deutschland verbringen, tauschen wir Ideen und Geschichten aus, als würden wir uns bereits seit Jahren kennen.
Viele Menschen wissen gar nicht, wie weit die Geschichte der Glasproduktion zurückreicht. Von den Produktionslinien in den Industriestädten über die geheimnisumwitterten Murano-Zünfte im mittelalterlichen Venedig bis hin zur Entdeckung der handwerklichen Glasbläserei durch die Römer. Und ihnen ist auch nicht bewusst, wie sehr die Glasherstellung unser lokales Erbe prägt. Zum Beispiel in Yorkshire: Einst gab es hier Dutzende von Glashütten, deren Einfluss vom Stadtwappen bis zu den Überresten der kegelförmigen Schmelzöfen und den Arbeiterhütten, die überall in der Landschaft zu sehen sind, reicht. Die einsamen Heidelandschaften von Yorkshire waren sogar Heimat einer florierenden, aber illegalen Glasbläserindustrie, in der geschäftstüchtige Kunsthandwerker den strengen Kontrollen für die Glasherstellung – gut geschützt vor den Blicken der Krone in London – entgehen konnten. Unsere Fabrik ist seit 1751 ununterbrochen in Betrieb. Sie wurde zu Beginn der industriellen Revolution am Kanal errichtet, um den Transport von Arzneimittelflaschen durch England einfacher zu machen.
Heute stehen viele von uns kurz vor dem Ruhestand – wir müssen also unbedingt junge Leute in die Glasindustrie holen, damit diese ganzen Fertigkeiten nicht für immer verloren gehen. Es ist sehr schwierig, die Glasherstellung nicht aus erster Hand zu erlernen. Deshalb setzen wir bei der Ausbildung einer neuen Generation auf modernste Technologie, zum Beispiel Schulungen mithilfe von virtueller Realität, bei der die Fabrikhalle in 3D nachgebildet wird. Dieses immersive Programm ist das erste seiner Art. Es hilft den Auszubildenden, sicher mit den Maschinen zu arbeiten und den Produktionsablauf zu verstehen, d.h. was passiert, wenn geschmolzenes Glas in eine Form gelangt und auf der anderen Seite als fertige Flasche herauskommt. Dafür hätten sie früher vielleicht Wochen gebraucht.
„Nachhaltigkeit beeinflusst alles, was wir tun.“
Diese ständige Weiterentwicklung und das Nebeneinander von Alt und Neu ist es, was die Glasherstellung so interessant macht. Würde einer unserer Mitarbeiter aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts eine Zeitreise zu uns machen, würde er vermutlich viele seiner eigenen Herstellungsprozesse wiedererkennen. Und doch: Fragen der Nachhaltigkeit waren nicht einmal ein Thema, als ich in der Branche anfing. Heute beeinflusst Nachhaltigkeit alles, was wir tun – sei es die Planung von Wannenumbauten, die Verbesserung der Qualität von recyceltem Glas, um Energie und Rohstoffe zu sparen, oder die Umstellung auf erneuerbare Energien. Unser technischer Direktor engagiert sich sehr stark für das Projekt „Furnace for the Future“ (Glaswanne der Zukunft), bei dem die CO2-Emissionen durch Umstellung auf grünen Strom drastisch gesenkt werden sollen. In meinen Augen ist das der richtige Weg, um unsere Industrie fit für die Zukunft zu machen.
Glas – das ideale Verpackungsmaterial. Viele Menschen wissen gar nicht, dass Glas aus natürlichen Rohstoffen besteht und unendlich oft recycelt werden kann, ohne der Umwelt zu schaden. Als Branche haben wir verschiedene Initiativen ins Leben gerufen, um dieser Botschaft Nachdruck zu verleihen. Sie reichen von Vereinbarungen zum Sammeln von Altglas, die wir mit beliebten Kneipen und Bars abschließen, bis hin zu Kampagnen, die die Menschen zum besseren Recyceln bewegen sollen. Ich glaube, viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, welchen Beitrag sie leisten können: Sie werfen ihr Glas in einen Altglascontainer oder eine Sammeltonne – und das ist dann das Letzte, was sie davon sehen. Wahrscheinlich denken sie, dass ab diesem Moment alles automatisch sortiert und weiterverarbeitet wird. Aber wenn in einem Altglascontainer Dinge sind, die dort einfach nicht hineingehören, zum Beispiel Porzellan oder Borosilikatglas, ist das für die Industrie ein echter Albtraum.
Ich finde, dass wir uns um diesen Planeten für die Generationen nach uns kümmern müssen. Und wenn das bedeutet, dass wir alle jeden Tag ein bisschen Glas recyceln müssen – und zwar richtig – dann ist das nicht zu viel verlangt. Und sehen wir es mal positiv: Heutzutage ist ein Spaziergang zum Glascontainer eine gute Ausrede, um aus dem Haus zu kommen!“
Trevor Phillips ist Production & Engineering Director bei Beatson Clark in Rotherham, England. Nach beeindruckenden 50 Jahren in der Glasindustrie möchte er demnächst in den Ruhestand gehen. Einer seiner größten Wünsche ist es, junge Menschen zu einer Karriere in der Glasindustrie zu ermutigen.
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